Sonstige
38 Jahre alt
Wenn du am frühen Mittag den Gastraum der Windstille betrittst, bist du meist allein. Die Zeit, die du nutzt, um ein letztes Mal mit dem feuchten Lappen über die Theke zu wischen und die letzten Vorräte zu verräumen, ist meist die einzige, die dir nur für dich und deine Gedanken bleibt - sind's nicht deine beiden Kinder, um die du dich kümmerst, dann um die Sorgen deiner Geschwister, die Konflikte deiner Freunde oder die alltäglichen Wehwehchen der Reisenden, die bei euch ihren Moment der Ruhe finden. Du bist immer da, für jeden, ob Tag, ob Nacht. Stellst bereitwillig deine eigenen Bedürfnisse hinter die anderer Menschen, weil du es so gelernt hast. Du bist sanft, offen und liebevoll; man kennt dich nicht anders. Dein Umfeld schätzt dich für das Lächeln, das du selbst in dunklen Stunden auf deinen Lippen trägst, für die stete Zuversicht und die Leichtigkeit, mit der du das Leben nimmst.
Du fühlst dich immer mehr wie eine Schauspielerin, bist schon lang nicht mehr du selbst. Die Frau hinter der Theke, die selbst dem unfreundlichsten Gast mit einem gut gelaunten Spruch auf den Lippen sein Gebräu serviert, die Frau, die einen alle Sorgen vergessen lassen kann, ist selbst voll von ihnen: was, wenn die Welt, in der du lebst, sich mit dem nächsten Augenaufschlag verändert? Was, wenn sie's schon längst getan hat? Dir ist's nicht möglich, mit den Scheuklappen, die deine Eltern sich für dich wünschen, durch die Welt zu gehen - liegt dir aber fern, ihnen Sorge zu bereiten, also machst du weiter, spielst deine Rolle bis zur Perfektion. Bist die unbekümmerte Tochter, Mutter, Schwester, Ehefrau und verdrängst die Zeit, in der du als Auszubildende Alchemistin im Wehrdienst tätig warst mit zwei weinenden Augen, wenn die Dunkelheit und Einsamkeit der Nacht es erlauben. Nicht jeder kann die Welt verändern. Warst noch ganz klein, als du das gelernt hast. Das einfache Volk ist nicht dazu gemacht, die Geschichtsschreibung in eine andere Richtung zu lenken. Heute bist du dir sicher: die Sorgen, die mit Kindern im militärischen Einsatz kommt, wollten deine Eltern viel mehr sich selbst als dir ersparen. Kannst es verstehen, jetzt, wo deine eigenen Kinder langsam älter werden - und hast dir ja doch geschworen, ihnen die Flügel zu geben, die sie benötigen, um zu wachsen. Ist nur noch dieser eine Schritt, den du gehen musst, um zu überwinden, was du jahrelang verinnerlicht bekommen hast - dieser eine Schritt, und dann tausend schwere weitere; kannst es schaffen, musst nur damit anfangen. Vielleicht nicht heute, aber dann morgen, und wenn nicht morgen, dann am Tag danach. Bekommst so langsam eine Ahnung davon, wie schwierig es ist, alte Muster zu durchbrechen, aber du arbeitest daran. Jeden Tag ein bisschen mehr, obwohl du weißt, dass ein bisschen nicht für immer genug sein wird. Gespielt von Jule
Dabei seit: 09.09.2024, 19:27
Zuletzt gesehen: 24.10.2024, 13:52
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