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ii. Deine Ausbildung ist unerwartet hart und fordernd. Dir wird schon in jungen Jahren viel abverlangt. Die Erwartungen liegen hoch, der Druck, der auf dir lastet, wird mit jedem Jahr noch deutlicher. Es ist dein Vater, der deine Ausbildung in die Hand nimmt, denn ihm ist daran gelegen, dass du nicht nur die Überquerung des Viadukt überstehst, sondern auch die folgenden drei Jahre, die dich danach erwarten werden. Unbarmherzige Jahre, die noch sehr viel mehr Blut, Schweiß und Tränen fordern, als es das Training in deiner Heimat — Deepcrest — jemals könnte. Also beißt du bei jeder neuen Lektion tapfer die Zähne zusammen und vertraust darauf, dass dich jeder Schlag, jeder Tritt und jeder Schnitt dem Überleben einen Schritt näher bringt.
iii. Du bist fünfzehn, als die tyrrische Rebellion zerschlagen wird und du die Menschen erleichtert aufatmen hörst. Navarre ist wieder sicher. Der Frieden gewahrt. Sofern man in einem andauernden Krieg überhaupt von Frieden sprechen kann. Du erfährst aus erster Hand, nämlich aus dem Mund deines Vaters, von den Hinrichtungen der Anführer — allesamt zu Asche verbrannt, unwiederbringlich. In einem anschließenden Friedensabkommen wird für die Sicherheit und das Überleben ihrer Kinder entschieden. Sie alle bekommen ein Brandmal verpasst, dass sie zu Separatisten macht, auf ewig gezeichnet, auf ewig dazu verdammt, mit dieser Schande zu leben. Wie den Krieg, verstehst du diese Konsequenz zwar als Großes und Ganzes, kannst die Beweggründe nachvollziehen, aber gleichzeitig wirft die Rebellion und ihre Folgen nur Fragen auf.
iv. Mit deinem zwanzigsten Geburtstag neigt sich deine Ausbildung dem Ende entgegen. Dein Leben lang hast du auf diesen Tag hingearbeitet, hast trainiert, deine Fähigkeiten geschult und bist bereit, das Erlernte in die Tat umzusetzen. Nicht sterben, bedeutet der erste Schritt. Als Abschiedsgeschenk erhältst du von deinen Eltern zwei Dolche überreicht, die fortan in den Brustscheiden der dunklen Lederweste auf ihren Einsatz warten werden. Als du dich mitsamt den anderen Anwärtern für die Überquerung des Viadukt aufstellst, lässt du dir von der Nervosität nicht viel anmerken. Sobald dein Fuß die andere Seite erreicht, wirst du Teil des Reiterquadranten sein. Bisher bist du vor keiner Herausforderung zurückgeschreckt — du hast es auch nicht vor. Weder heute, noch morgen, noch an einem anderen Tag. Also straffst du die Schultern, atmest ein letztes Mal tief durch und setzt den ersten Schritt, der den Beginn einer kräftezehrenden, zermürbenden und vor allem tödlichen Wehrpflicht bedeutet.
Und du liebst es. Du liebst deinen Weg. Fühlst dich wohl im Reiterschwarz. Bist sicher auf dem Rücken deines Drachens und überwindest die Hürden, die dir in der Ausbildung in den Weg gestellt werden, um nach drei Jahren voller Euphorie deinen Abschluss zu feiern. Aber anstatt die Woche, die du im Anschluss frei hast, um diese mit deiner Familie zu verbringen, heiratest du völlig überstürzt die junge Arabella. Die Frau, die nicht nur dein Herz für sich gewonnen hat, sondern auch dem Quadrant der Infanterie gehört. Und so verläuft eure Ehe vorerst recht unspektakulär, während ihr beiden euch eurem Dienst widmet. Du in Montserrat und Sie? Ja, daran kannst du dich nicht mehr erinnern. Wie denn auch, wenn du vor Ort plötzlich von deinem Weg abkommst und dich zu einer Affäre hinreißen lässt, die dir später noch ordentlich Kopfschmerzen bereiten wird. Aber die erste Schwärmerei, die erste Liebe – die Gefühle wiegen schwerer als die Vernunft und die Versprechen gleiten ganz leicht über die Lippen. Versprechen, die du gewillt bist einzuhalten. Bereit, deinen Weg neu zu kalibrieren, nur um es am Ende doch anders zu machen. Du kannst dich noch ganz genau an den Tag und dein Vorhaben erinnern, als dir Bella so voller Freude verkündet, ein Kind unter ihrem Herzen zu tragen. Und obwohl du bereits Vater von zwei Kindern bist, ist diese Freude etwas anderes. Etwas, das du nicht erklären kannst, aber es erstickt deinen ursprünglichen Plan noch im gleichen Augenblick im Keime. Lässt es stattdessen zu einem wohl gehüteten Geheimnis werden, das du über viele Jahre hinweg mit dir trägst und dich zu einem Doppelleben zwingt.
Lügen haben jedoch kurze Beine und das merkst du spätestens dann, als Bella dich mit deinem (offensichtlich nicht ganz so gut gehüteten) Geheimnis konfrontiert und dich vor die Wahl stellt. Sie oder die Andere? Als wenn nichts gewesen wäre, kappst du dein zweites Leben. Lässt es hinter dir und blickst nicht mehr zurück. Einzig und allein Bilder suchen dich in ruhigen Momenten heim und hinterlassen ein schlechtes Gewissen, welches du allerdings mit einer Leichtigkeit ignorierst. Stattdessen legst du deinen Fokus auf deine Karriere und deine Familie. Deine richtige Familie. Sorgst dich um deine Ehefrau und deinen Erstgeborenen Sohn. Und wie es auch schon bei dir der Fall war, ist auch Finnians Weg vorgeschrieben – oder zumindest wünschst du es dir. Bereitest ihn vor, genauso wie deine Tochter, die nur wenige Jahre später das Licht der Welt erblickt und euer Familienglück vervollständigt; obwohl die Taten der Vergangenheit - deine Taten - schwer über Arabellas und deinem Kopf lasten. Für deine Familie jedoch gehst du den Weg, der von Beginn an für dich vorbestimmt war.