01.10.633 nV - 01.10.633 nV
Jedes Jahr am 01. Oktober, ganz gleich auf welchen Wochentag er fällt, marschieren die Rookies des ersten Jahrgangs in ihr Schicksal. Zwei Tage, nachdem die Kadett:innen sowohl die Gauntlet-Prüfung, als auch die Präsentation vor den bindungswillingen Drachen erfolgreich hinter sich gebracht haben, betreten sie das schüsselförmige, bewaldete Tal im Südwesten der Zitadelle.
Um 09 Uhr morgens, wenn die Kadett:innen am Rand des Tals stehen und die letzten Anweisungen ihres Professors erhalten ("Verteilen Sie sich, nutzen Sie jeden Quadratmeter des Tals zu Ihrem Vorteil."), liegt noch ein dünner Nebel über dem Boden. Er schwächt die Sicht - gerade genug, um die Nerven anzuspannen, aber nicht genug, um den Juniors und Seniors, die sich über das gesamte Tal verteilt haben, die Aussicht zu nehmen. Sie befinden sich am oberen Rand des Tals, vereinzelt stehen sie zwischen den Bäumen, verborgen im Schatten. Sie sind stille Zeugen, die beobachten, bewerten, aber niemals eingreifen dürfen.
Mit dem Eintreffen der Drachen beginnt das Dreschen. Sie brechen durch die Wolken, stürzen vom Himmel herab und reißen den Kadett:innen den Atem aus der Brust. Manche von ihnen kommen gezielt - sie haben sich bereits bei der Präsentation entschieden und rufen nun nach ihren ausgewählten Reiter:innen. Andere fliegen tiefer, scannen das Tal, bevor sie sich niederlassen - sie suchen jenen Funken nach Stärke, der einer Bindung würdig ist. Den Rookies wird schnell klar: niemand ist sicher. Sie wissen, dass sie allein gehen müssen, denn wer in Gruppen geht, verbrennt schneller - also verteilen sie sich, verschwinden zwischen den Bäumen, Farnen und Schatten. Rivalitäten flammen auf, angefacht von dem Wissen, dass es lang nicht genügend bindungswillige Drachen für alle gibt, und alte Feindseligkeiten finden ihr Ventil, Mord wird stillschweigend einkalkuliert.
Zum Mittag verzieht sich der Nebel und die Sonne wärmt das Tal, doch die Anspannung bleibt wie ein unsichtbarer Schleier in der Luft. In unregelmäßigen Abständen erhebt ein Drache sich vom Boden, auf seinem Rücken ein:e erwählte:r Reiter:in - doch auch sie sind noch lang nicht sicher, denn:
Die Bindung ist nur die erste Prüfung. Der Flug ist die zweite - und oft die tödlichere.
Sobald ein Drache eine:n Reiter:in akzeptiert, hebt er ab. Steil, schnell, erbarmungslos. Scharfe Wendungen, freie Stürze, plötzliche Richtungswechsel - alles, um zu sehen, ob der Mensch sich halten kann. Fällt er, entscheidet der Drache, ob er ihn auffängt… oder fallen lässt. Der Drache selbst entscheidet, wie lang diese Prüfung dauert und erst, wenn der Rookie endgültig für würdig erklärt wird, landen sie gemeinsam auf dem Flugfeld, wo der:die Reiter:in den wahren Namen seines Drachen zu Protokoll gibt. Ein intimer Moment zwischen zwei Lebewesen, der eine Bindung besiegelt, die bis zum Tod (des Menschen) besteht.
Das Dreschen geht bis zum Einbruch der Dunkelheit. Wer dann noch lebt, aber von keinem Drachen gebunden wurde, wird von Offizieren, meist Lehrkräften, aus dem Tag geholt - erschöpft, verwundet, lebendig.
Wer diesen Tag überlebt, darf im nächsten Jahr erneut antreten.
Denn beim Dreschen ist Überleben kein Ziel - es ist nur die erste Hürde.